Tod und Vergänglichkeit ❁

Zu dem Thema Sterben und Vergänglichkeit wurden zwei Texte ausgewählt.  Der erste Text entstand unmittelbar nach dem Tod des Vaters der Autorin. Der zweite Text thematisiert die Betroffenheit der Autorin über das Fällen einer alten, wunderschönen Eiche. Sie musste einem Parkplatz weichen.

 

Staub sank auf mich herab, Staub wie Schnee,

und Stille, Stille, tief wie ein See.

Mundus patet

Als man im Turm

die Stunden auszählte,

hatte der schwarze Rabe

sich bereits auf den Nacken

des Greises gehockt.

Mundus patet,

rief der Türmer

und riss

in wilder Ungeduld

die Reststunden

wie Zettel

vom Ziffernblatt.

Sie haben ja Seele,

staunte der Greis,

während sie nieder sanken.

Ei ja,

spottete der sonst so

schweigsame Rabe,

Birkenseelen,

und drückte den Greis

bodenwärts.

Birkenseelen,

wiederholte der Greis

mit erlöschender Stimme.

Doch der Rabe schwieg.

Und es schwieg der Türmer.

Der Greis aber versank

im Zettellaub der Stunden.

Die Eiche an der Lichtung

Requiem für einen Baum

 

Es dauerte nicht lange,

die Eiche an der Lichtung

zu fällen,

diesen uralten,

über die Jahrhunderte

gewachsenen Baum,

den ich so oft umrundet

und umarmt hatte,

denn sie wehrte sich nicht.

 

Staunenden Auges

sah sie ihre Mörder

das Todesbeil schwingen,

selbst als der erste Hieb

ihren starken Fuß traf,

Holz wie spröde Knochen

absplitterte und

ihr Blut sich mit

dem Schnee vermischte,

konnte sie nicht glauben,

was ihr geschah.

 

Mit dem zweiten Axthieb

begann sie bereits zu wanken

und der dritte schon

brachte sie zu Fall.

 

Es war ein dumpfes Aufschlagen

im Schnee, der ihren Schmerz

dämpfte, und die Eiche roch

noch ein Mal diesen

einzigartig kalten Duft

von gefrorenem Himmelswasser

und dunkler Erde.

 

Mit erlöschendem Blick

schaute sie den blauen Himmel

über sich und spürte die

wärmenden Strahlen der Sonne

auf ihrer rauen Rindenhaut.

 

Eine seltsame Musik ertönte,

die wie zum Scherz klirrte,

es war der Kampfgesang der

Äxte, die ihren Leib

zerteilen wollten.

 

Doch davon spürte sie nichts mehr,

die Eiche an der Lichtung,

denn zuvor hatte ihr gütiger Engel

seine Flügel über ihrer Seele

ausgebreitet und war mit ihr

davon geflogen.

 

Nichts ist von ihr geblieben,

kein Stumpf, kein Ästchen,

kein Blatt, nicht das

allerkleinste Rindenstückchen,

es ist, als wäre sie

nie gewesen,

sann ich traurig,

als ich an dem leeren Platz

an der Lichtung stand.

 

Eine wundersame Stille

hatte sich über dem Wald

ausgebreitet und

senkte sich nun auch über mich

gleich einem langen, tiefen

Atemzug der Trauer.

 

Da begann in dieser

wundersamen Stille

in der Lichtung meines Herzens

die Eiche sich

mit starkem Fuße einzuwurzeln

und zu wachsen und

wurde Teil meines Himmels,

denn, alles, was man liebt,

geht ins Unvergängliche hinein.