Zu dem Thema Sterben und Vergänglichkeit wurden zwei Texte ausgewählt. Der erste Text entstand unmittelbar nach dem Tod des Vaters der Autorin. Der zweite Text thematisiert die Betroffenheit der Autorin über das Fällen einer alten, wunderschönen Eiche. Sie musste einem Parkplatz weichen.
Staub sank auf mich herab, Staub wie Schnee,
und Stille, Stille, tief wie ein See.
Als man im Turm
die Stunden auszählte,
hatte der schwarze Rabe
sich bereits auf den Nacken
des Greises gehockt.
Mundus patet,
rief der Türmer
und riss
in wilder Ungeduld
die Reststunden
wie Zettel
vom Ziffernblatt.
Sie haben ja Seele,
staunte der Greis,
während sie nieder sanken.
Ei ja,
spottete der sonst so
schweigsame Rabe,
Birkenseelen,
und drückte den Greis
bodenwärts.
Birkenseelen,
wiederholte der Greis
mit erlöschender Stimme.
Doch der Rabe schwieg.
Und es schwieg der Türmer.
Der Greis aber versank
im Zettellaub der Stunden.
Requiem für einen Baum
Es dauerte nicht lange,
die Eiche an der Lichtung
zu fällen,
diesen uralten,
über die Jahrhunderte
gewachsenen Baum,
den ich so oft umrundet
und umarmt hatte,
denn sie wehrte sich nicht.
Staunenden Auges
sah sie ihre Mörder
das Todesbeil schwingen,
selbst als der erste Hieb
ihren starken Fuß traf,
Holz wie spröde Knochen
absplitterte und
ihr Blut sich mit
dem Schnee vermischte,
konnte sie nicht glauben,
was ihr geschah.
Mit dem zweiten Axthieb
begann sie bereits zu wanken
und der dritte schon
brachte sie zu Fall.
Es war ein dumpfes Aufschlagen
im Schnee, der ihren Schmerz
dämpfte, und die Eiche roch
noch ein Mal diesen
einzigartig kalten Duft
von gefrorenem Himmelswasser
und dunkler Erde.
Mit erlöschendem Blick
schaute sie den blauen Himmel
über sich und spürte die
wärmenden Strahlen der Sonne
auf ihrer rauen Rindenhaut.
Eine seltsame Musik ertönte,
die wie zum Scherz klirrte,
es war der Kampfgesang der
Äxte, die ihren Leib
zerteilen wollten.
Doch davon spürte sie nichts mehr,
die Eiche an der Lichtung,
denn zuvor hatte ihr gütiger Engel
seine Flügel über ihrer Seele
ausgebreitet und war mit ihr
davon geflogen.
Nichts ist von ihr geblieben,
kein Stumpf, kein Ästchen,
kein Blatt, nicht das
allerkleinste Rindenstückchen,
es ist, als wäre sie
nie gewesen,
sann ich traurig,
als ich an dem leeren Platz
an der Lichtung stand.
Eine wundersame Stille
hatte sich über dem Wald
ausgebreitet und
senkte sich nun auch über mich
gleich einem langen, tiefen
Atemzug der Trauer.
Da begann in dieser
wundersamen Stille
in der Lichtung meines Herzens
die Eiche sich
mit starkem Fuße einzuwurzeln
und zu wachsen und
wurde Teil meines Himmels,
denn, alles, was man liebt,
geht ins Unvergängliche hinein.