Von Marési Strommer gibt es zahlreiche gesellschraftskritische Texte. Diese Kritik soll zum Nachdenken anregen und gleichzeitig auch Hoffnung schenken. Drei ausgewählte Texte sollen dies veranschaulichen.
Dies ist die wahre Tragik des Menschseins, immer an den Bruchlinien laufen müssen, an den Bruchlinien der Lüge, und in Abgründen nach dem letzten Funken Wahrheit suchen.
Erschienen in der Anthologie "Frauen/Donne, das wenige, was wir wissen" des Projektteams V. Fioranelli, E. Todeschini, U. Gebendiger (Verlag Ideenreich, 2008)
Das hatte man sie gelehrt, zu Boden blicken,
wenn ein männliches Wesen sich nähert,
zu Boden blicken und zu erröten, wenn möglich,
anständige Mädchen
blicken zu Boden und erröten,
wenn ein männliches Wesen sich nähert.
Und, man war mit ihr zufrieden,
auch mit ihren vorbildlichen Knicksen
war man zufrieden.
Später, viel später, fragte sie sich,
was an ihren Augen unanständig sein sollte
und an ihrer aufrechten Haltung.
Sie begann zu rebellieren und
errötete nicht mehr und blickte den Männern
mit all der Aufrichtigkeit ihres Herzens in die Augen.
Und es geschah, was alle befürchtet hatten,
sie erröteten, richteten ihre Blicke zu Boden
und knickten ein.
Wer sind sie,
die Eliten der Menschheit,
und wer liest sie aus?
Woher kommen sie und
wohin wollen sie uns führen?
Sie werden die Besten genannt
und sind die Besetzer der Superlative.
Sie kommen aus den besten Familien
und besuchen die besten Schulen.
Sie werden von den Besten auserlesen
und wollen stets das Beste für die Welt,
sagt man.
Sagen sie,
die Vor-Denkenden und Vor-Handelnden,
die Lenker des Menschengeschlechtes
von alters her.
Was aber bleibt?
Blicke auf den Altar der Zeit.
Rot und schwarz trieft er,
rot vom Blut und schwarz von den Tränen
der Unschuldigen.
So sieht die Ernte aus?
So sieht die Ernte aus,
denn sie sind Kopfgeborene,
haben ihre Erdhaftung verloren
und ihre Himmelverbundenheit.
Aus Blut und Tränen
weben sie Totenhemden
und verbrennen in maßloser Gier
Sterne zu Totenköpfen.
Sie schlagen die
scharlachrote Blechtrommel
und verkünden den
rostigen Frieden
bis die Münzen klirren.
Aus unserer Ahnungslosigkeit
schmieden sie Rüstungen
und aus unseren Ängsten
Schwerter.
Mit aasgeilen Händen
greifen sie nach unseren Kindern
und winden Lorbeerkränze
in ihrem Blut.
Sie reichen uns
den Becher der Trägheit
und ertränken unsere Herzen
im Mohn ihrer Lügen.
Warum ist ihr Glanz betörender
als der Glanz der Heiligen?
Weil wir träumendes Schilfrohr sind
und der tränenschwarze Rabe
unser Schlaflied singt.
Ihr Lenker der Menschheit
von alters her,
ihr Vor-Denkenden und Vor-Handelnden
im Hassen,
im Gieren
und im Menschenverachten,
ihr Mitgötter Mammons und
Mörder der Friedenstifter
und Liebenden.
sagt an,
wer wird verderben und wer wird leben?
Ich weiß, ein Mal
werden sich Blut und Tränen
im Wasser des Lebens
ausdünnen.
Ihr werdet auf den Altar der Zeit blicken
und erschaudern:
so sieht die Ernte aus?
Wer wird verderben, und wer wird leben?
Ich weiß, ein Mal wird einer
nach dem großen Schnitt
das Grobe von dem Feinen sieben:
Wer brachte Dunkel
und wer brachte Licht?
Ich weiß, ein Mal
werden sie siegen,
die Friedenstifter,
dieVor-Denkenden und Vor-Handelnden
der Hoffnung,
der Versöhnung
und der Liebe,
die Eliten der Menschlichkeit,
und sie werden uns aufheben
aus der Asche
des Hasses und der Gier,
Strandgut der Sehnsucht,
das wir sind.
Ich weiß, ein Mal
werden sie siegen,
die Herzgeborenen und
Himmelverbundenen,
sie werden aus
Sternen Kränze winden
und sie den Kindern
ins taufunkelnde Haar legen,
bis sie, Goldblumen gleich,
über die Erde hin leuchten.
In einer
Zaubernacht der Liebe
werden sie
mit uns lichtwärts tanzen und
mit ihren Myrthenhänden
uns umarmen,
bis der Gott der Morgenröte erscheint,
um Himmel und Erde
auf immer zu verbinden.
Dann wird die weiße Taube
aus dem Heiligen Hain der Liebe
ins blauende Leben steigen
und der Leviathan
im Meer seiner eigenen Bosheit
verderben.
Wir aber werden
das Ende aller Superlative feiern
in dem einen Superlativ,
der Liebe,
und ewig liebend leben.
Das Leid auf der Welt wird nicht kleiner,
wenn ich nur mehr traurig bin.
Gewiss, ich will es lindern,
das Leid ringsum,
soweit es mir möglich ist,
doch ich will nicht,
dass es sich in mein Leben frisst.
Ich will fröhlich sein!
Heute, und nicht erst morgen.
Wer weiß,
ob ich morgen noch lebe.
Das Leid ringsum wird gewiss
noch da sein.